Request to Pay – Einer muss den Anfang machen
Bereits im Jahr 2021 ist das Regelwerk für SEPA Request to Pay (RTP oder R2P) in Kraft getreten, doch die Umsetzung des neuen Bezahlverfahrens in der Bankenwelt läuft schleppend bis gar nicht an. Warum ist das so und welche Chancen für Unternehmen, Handel, Verbraucher und Finanzdienstleister bleiben bisher ungenutzt? Den Nebel rund um Request to Pay durchdrungen und diesen Fragen gestellt, haben sich unsere SEPA-Experten Janine Günther und Olaf Decker.

Janine Günther, Senior Consultant bei finius
Welche Vorteile bringt Request to Pay den Unternehmen?
Janine Günther: Vor allem für Händler, sei es nun stationärer oder Online-Handel, würden durch die zusätzliche Bezahlmethode Request to Pay die Kosten für kartenbasierte Lastschriften langfristig sinken. Bietet ein Händler am Point of Sale Bezahlung per Debit- oder Kreditkarte an, muss er nämlich ein Disagio auf den Umsatz an den Kreditkartenanbieter entrichten, welches mitunter 3% beträgt. Mit Request to Pay als Zahlungsaufforderung in Kombination mit der Überweisung entfällt der Weg des Geldes über einen Drittanbieter und damit die Prozesskosten dafür.
Durch die Verkürzung des Prozesses verkürzt sich natürlich auch die Wartezeit des Unternehmers auf sein Geld. Während er bei Zahlung per Kreditkarte teilweise mehrere Wochen auf die Auszahlung des Geldes wartet und ihm das Kapital innerhalb dieser Zeit nicht für Reinvestitionen zur Verfügung steht, fließt bei Request to Pay im besten Fall per Echtzeitüberweisung sein Umsatz direkt zurück in den Cashflow.
Olaf Decker: Insbesondere Online-Händler, die heute die SEPA-Lastschrift als Bezahlmethode anbieten, könnten mit Request to Pay auch ein Forderungsausfallrisiko ausschalten. Denn ein Verbraucher ist bei einer SEPA-Lastschrift berechtigt diese bis zu 8 Wochen nach Einlösung zurückzufordern. Da es sich bei Request to Pay um eine Überweisung handelt, entfällt diese Option folglich.
Eignet sich Request to Pay für alle Unternehmen?
Janine Günther: Meiner Ansicht nach nicht. Denn es ist kaum vorstellbar, dass beispielsweise Telekommunikationskonzerne, Stromanbieter oder der Zoll auf Lastschriften verzichten und stattdessen voll auf Request to Pay umstellen werden. Man stelle sich vor am Anfang eines Monats erhält der Verbraucher auf seinem Smartphone 20 Zahlungsaufforderungen in Gestalt von Push-Benachrichtigungen für seine monatlich anfallenden Fixkosten wie Strom, Handyrechnung etc. Er wäre mit der zusätzlichen Nachrichtenflut überfordert und drückt die Aufforderungen wahrscheinlicher eher weg, als sie zu bestätigen.
Außerdem ist die Umstellung der Geschäftsvorfälle eines Unternehmens mit Vorsicht zu genießen. Insbesondere im B2B-Bereich sind lange Zahlungsziele von 30, 60 oder mehr Tagen üblich. Stellt das Unternehmen pauschal auf Request to Pay um und umgeht damit die Zahlungsziele, können Geschäftsbeziehungen durchaus gestört werden. Meines Erachtens, wird man also eher an Kassensystemen oder in Online-Shops auf Request to Pay treffen als beispielsweise beim Kauf von Anlagegütern oder Rohstoffen.
Olaf Decker: Ja, es kommt definitiv auf das Nutzungsszenario von Request to Pay an und muss unternehmerseitig von Geschäftsbereich zu Geschäftsbereich individuell entschieden werden.
Janine Günther: Ebenso ist fraglich, ob Request to Pay für Firmenkunden interessant ist, welche EBICS
verwenden. Bei EBICS werden Dateien eingereicht und teilweise von mehreren Personen desselben Unternehmens nacheinander autorisiert, bevor die Nachricht die Bank erreicht. Der Zeitvorteil von Request to Pay entfällt hier offensichtlich. Man muss hier also sehr genau prüfen, ob sich für das Unternehmen ein Nutzenvorteil ergibt, indem von Lastschrift auf Gutschrift umgestellt wird.
Welche Vorteile bietet Request to Pay den Banken?
Janine Günther: Für Banken hält Request to Pay große Chancen bereit. Sie können ihr Service-Portfolio um einen Baustein erweitern. Ein neues Produkt steigert die Attraktivität für die Kundschaft, die ja aus Verbrauchern und Unternehmen besteht und damit die empfundene Servicequalität und die Kundenbindung. Gerade für Geschäftskunden sind z.B. SEPA-Echtzeitüberweisungen, SEPA-Überweisungen sowie der Eingang von Gutschriften extra bepreist. So ist es auch im Falle von SEPA Request to Pay legitim es zu einer kostenpflichtigen Leistung zu machen. Für die Banken ist Request to Pay also definitiv eine weitere Einnahmequelle!
Olaf Decker: Durch Request to Pay erhält die Bank darüber hinaus eine Menge wertvoller Daten. Denn die der Zahlung vorgeschaltete Zahlungsaufforderung enthält sämtliche Informationen der geplanten Transaktion, da nach abgeschlossener Zahlung auch die Rechnung mitgegeben wird. Somit erhält eine Bank Einblick in die Geschäftsbeziehung ihrer Kunden und kann unter Berücksichtigung des Datenschutzes bei ihren Kunden Cross- oder Upselling betreiben.
Janine Günther: Die Bank, die Request to Pay anbieten wird, wird die Bank sein, bei der die Händler, die ihrerseits Request to Pay anbieten wollen ein Konto führen müssen. Für die Früh-Adopter unter den Request to Pay-Anbietern ist hier möglicherweise auch ein Neukundengeschäft zu holen.

Olaf Decker, Geschäftsführer bei finius
Wird es durch das erhöhte Datenaufkommen zu Problemen bei der Verarbeitung kommen?
Olaf Decker: Meiner Einschätzung nach kommen durch Request to Pay nicht zwingend große Datenmengen hinzu, sondern wechseln durch Abnahme von regulären SEPA-Überweisungen oder Buchungen von Kartenzahlungen nur den Kanal, über den sie abgewickelt werden.
Wo klemmt´s momentan – warum läuft Request to Pay nicht richtig an?
Janine Günther: Mit Request to Pay sind die Anforderungen an die Infrastruktur der Banken an Echtzeit-Systeme gestiegen. Da Request to Pay in den meisten Nutzungsszenarien nur sinnvoll ist, wenn es in Verbindung mit einer Echtzeitüberweisung abgewickelt wird, müssen wir uns zunächst die Frage stellen, ob alle Banken in der Lage sind Echtzeitüberweisungen abzuwickeln.
Olaf Decker: Meiner Kenntnis nach ist der Stand bei den deutschen Banken momentan so, dass alle Banken mittlerweile empfangsbereit für Echtzeitüberweisungen sind, aber noch nicht alle Banken Echtzeitüberweisungen versenden können.
Janine Günther: Hier ist also vielfach noch eine infrastrukturelle Lücke zu schließen, bevor Request to Pay flächendeckend funktionieren wird. Es müssen bankenseitig neue, leistungsfähigere Systeme angeschafft oder sogar die Infrastruktur der Bank komplett überdacht und umgebaut werden. Das ist in erster Linie mit hohen Investitionskosten verbunden, braucht später im Betrieb aber auch personelle Kapazitäten. Denn Echtzeit-Systeme müssen 24/7 an 365 Tagen im Jahr zur Verfügung stehen. In dem Zuge muss auch überdacht werden, ob der Buchungsschluss für die Tagesende-Verarbeitung beispielsweise von 20 Uhr auf 23.59 Uhr verlegt werden muss und ob die Kontoinformationen bereits früher als 6 Uhr morgens bereitgestellt werden müssen.
Gleiches gilt für Unternehmen, ihre internen Prozesse und ihre ERP-Systeme. Um die Umstellung auf Request to Pay zu meistern, müssen auch die ERP-Systeme Echtzeit-Systeme werden. Das bedeutet, sie müssen in der Lage sein rund um die Uhr entweder Request to Pay senden oder empfangen zu können. Es werden Fragen zu beantworten sein wie: Wird ein Unternehmen außerhalb der Geschäftszeiten einen Request to Pay annehmen? Wird man die Waren rund um die Uhr senden oder annehmen? Muss die Buchhaltung rund um die Uhr Zahlungseingänge automatisch prüfen und verbuchen? Wie stellen sich die Unternehmen personell diesbezüglich auf? Muss der technische Support in der IT sowie der Kunden-Support auch auf 24/7 umgestellt werden?
Wie ist denn der aktuelle Stand der Entwicklungen bei Request to Pay ca. 1,5 Jahre nach Inkrafttreten der Richtlinien?
Olaf Decker: Unserer Kenntnis nach gibt es momentan nur eine Bank in Deutschland, die offen mit ihren Entwicklungen rund um Request to Pay umgeht. Es ist deshalb davon auszugehen, dass auch andere Banken an der Integration von Request to Pay arbeiten.
Janine Günther: Händler und kleine bis mittelständische Unternehmen sind bisher noch gar nicht im Thema. Dieser Nutzerkreis wird unserer Einschätzung nach erst dann aktiv werden, wenn durch Banken, Service-Provider oder Großkonzerne Bewegung am Markt für Request to Pay erzeugt wurde und es simple Lösungen zur Einbindung in z.B. Kassensysteme gibt.
Olaf Decker: Dass so wenig über die Entwicklungen von Request to Pay bekannt ist, ist übrigens auch ein Grund dafür, warum der Markt so schleppend auf Request to Pay reagiert!
Wo steht Deutschland im europäischen Vergleich hinsichtlich der Entwicklungen von Request to Pay?
Olaf Decker: In Großbritannien und in den Niederlanden wird Request to Pay bereits eingesetzt. Auch Spanien ist weit vorne und bietet mit EVA Pay einen ergänzenden Zahlungsansatz. EBA Clearing hat bereits früh mit namenhaften technischen Providern die Arbeit an Lösungen für die Request to Pay–Infrastruktur zwischen Banken gestartet und umgesetzt.
Janine Günther: Europaweit haben sich 28 Banken bereiterklärt das Thema Request to Pay voranzutreiben und an Lösungen zu arbeiten. Aber alles in allem ist auch im Euro-Raum noch kein Übermaß an Aktivität in Richtung baldiger flächendeckender Request to Pay-Lösung erkennbar.
Stellt Request to Pay einen Wettbewerbstreiber auf dem Gebiet der Zahlungsarten dar?
Janine Günther: Da sind es meiner Einschätzung nach vor allem die Kreditkarteninstitute, die sich durch Request to Pay einer Verdrängung vom Markt ausgesetzt sehen könnten. Tatsächlich wird der Verbraucher aber nicht ganz auf die Nutzung von Kreditkarten verzichten, da mit der Zahlung per Kreditkarte vor allem längere Zahlungsziele verbunden sind und teilweise auch attraktive Bonusprogramme.
Daneben legt man in Deutschland auch immer noch sehr viel Wert auf Anonymität. Bei Nutzung von Request to Pay hat die Bank oder der Service-Provider einen tieferen Einblick in die Rechnungsdaten und somit in die Geschäftsbeziehung. Verbraucher der Datenschutz-Nation Deutschland könnten also grundsätzlich zögerlich auf Request to Pay reagieren.
Und inwieweit sind Payment Service Provider von Request to Pay betroffen?
Olaf Decker: Payment Service Provider werden Request to Pay aller Wahrscheinlichkeit nach ebenfalls anbieten, da sie sonst Kunden an andere Anbieter des Request to Pay-Verfahrens, wie z.B. Banken, verlieren könnten. Da namenhafte Provider bereits Sofortüberweisung anbieten, ist davon auszugehen, dass die Umsetzung von Request to Pay technisch machbar ist. Wie die Entwicklungen zu Request to Pay bei den Payment Service Providern in Deutschland tatsächlich laufen, ist auch hier nicht offiziell bekannt.
Was bringt Request to Pay dem Verbraucher?
Olaf Decker: Dadurch, dass dem Verbraucher beim Bezahlvorgang eine Zahlungsaufforderung geschickt wird, die er aktiv bestätigen muss, entsteht eine Art “Double-Option-Effekt”, den die Verbraucher als vertrauensstiftend wahrnehmen werden. Zudem hat der Endkunde mit Request to Pay eine weitere Bezahlmöglichkeit zur Verfügung – es bereichert damit seine Auswahl.
Janine Günther: Was der Verbraucher aber zwingend benötigt, um Request to Pay z.B. auch an der Kasse zu nutzen, ist eine Smartphone-App, die mit dem Online-Banking-Account verbunden ist. Tatsächlich haben noch nicht alle Verbraucher in Deutschland ein Smartphone und solche, die es haben, nutzen es nicht alle, um Bankgeschäfte auszuführen. Hier wird die vollständige Umstellung auf digitale Bezahlmethoden, wie Request to Pay, mit Sicherheit noch einige Zeit in Anspruch nehmen.
Wie wird es mit Request to Pay nun weitergehen? Wie bekommt man es zum Laufen?
Janine Günther: Definitiv sind hier die großen Player gefragt den Ball ins Rollen zu bringen. Einer muss den Anfang machen! Das können entweder die Banken sein, die sich im ersten Schritt Wettbewerbsvorteile sichern wollen und Request to Pay als ergänzendes Mittel zur modernen Zahlungsabwicklung ins Portfolio aufnehmen, um ihren Kunden Mehrwerte zu bieten. Es können aber auch marktgetriebene Impulse von Großkonzernen sein, die dazu führen, dass Banken anfangen die Infrastruktur für Request to Pay bereitzustellen. Dazu müssten die Unternehmen ihre Geschäftsvorfälle analysieren, um Anwendungsfälle abzuleiten. Als erstes werden dies die Geschäftsvorfälle sein, die heute schon die Sofortüberweisung beinhalten.
Hat Request to Pay Game-Changer-Potenzial?
Janine Günther: Auf alle Fälle bietet Request to Pay etlichen Branchen, die mit der Abwicklung von Zahlungsverkehr beschäftigt sind, große Entwicklungschancen. Wir haben bereits über die Erweiterung des Service-Portfolios von Banken und die für den Nutzer eventuell entstehenden Kosten und damit einhergehende Neuordnung der Bankgebühren gesprochen. Gleiches gilt für die Payment Service Provider. Darüber hinaus sind es z.B. auch die Anbieter von ERP-Systemen, die Ihre Schnittstellen überarbeiten müssen, damit Request to Pay ganzheitlich funktioniert.
Ein ganz neues Geschäftsfeld wiederum tut sich für Plattformanbieter auf, die den Austausch von elektronischen Dokumenten, wie Bestellungen, Rechnungen, Lieferscheine, Vertragsdokumente etc. ermöglichen. Um es mit einem Beispiel zu erklären: Es kann sein, dass ein Händler die Rechnung in Format A sendet, die Bank des Käufers aber nur Format B versteht. Hier ist es der Service–Provider der Plattform, der die Rechnung in beiden Formaten hinterlegt und mit der Request to Pay-Nachricht adressatengerecht verlinkt. Eine Kooperation mit einem solchen Plattformanbieter für den Austausch von elektronischen Dokumenten ist daher effizienter für Unternehmen, als diesen Dienst inhouse zu realisieren.
Olaf Decker: Ein weiteres interessantes Anwendungsgebiet für Request to Pay dürfte die Versicherungsbranche sein. Dadurch, dass mit Request to Pay auch die Vertragsdaten sofort ausgetauscht werden und im Gegenzug durch Bestätigung des Versicherungsnehmers die Rechnung bezahlt wird, entsteht sofortiger Versicherungsschutz.
Was kann finius auf dem Weg zu Request to Pay für tun?
Olaf Decker: Wie wir gesehen haben, fehlt es für Request to Pay an vielen Stellen noch an Grundlagenentwicklung. Banken, die heute noch keine Echtzeitüberweisung senden können, müssen auf den Stand kommen, dass sie es können. Bei Banken, die bereits in der Lage sind Echtzeitüberweisungen zu senden, muss man einen Schritt später einsteigen und beispielsweise die technischen und infrastrukturellen Voraussetzungen zur Speicherung und Weitergabe der Daten aus Request to Pay-Zahlungen schaffen. Finius arbeitet seit mehr als 20 Jahren genau daran bestehende Systeme zu analysieren, die Anforderungen von Neuheiten, wie in diesem Fall Request to Pay, zu definieren und Lösungen unter Aufrechterhaltung des Tagesgeschäfts zu implementieren. Dazu gehört selbstverständlich auch ein robustes Testmanagement.
Von unserer jahrzehntelangen Bankenerfahrung profitieren auch die Unternehmen, die z.B. ihre ERP-Systeme hinsichtlich Request to Pay aufrüsten müssen. In der Regel gehört zwar die Abwicklung des Zahlungsverkehrs innerhalb bestehender Prozesse und vorhandener Systeme zum Tagesgeschäft, nicht aber die Anpassung eben dieser an Neuerungen. Hierzu braucht es temporär schlichtweg Fachspezialisten, die ihr Handwerkszeug in Business Analyse mitbringen und die Prozesse und Systeme störungsfrei mithilfe eines effizienten Projektmanagements auf das erforderliche Level heben.
Janine Günther: Request to Pay wird kommen und dann kommt es darauf an wer wie gut vorbereitet ist und sich damit die meisten Vorteile sichert!